Christians for Future?

Kommentar zum schwindenden Hoffnungspotential des deutschen Protestantismus von Hans-Jürgen Volk.

„Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“

Römerbrief 5,1-5

Ist es nicht naiv, in diesen Zeiten von Hoffnung zu reden? Der Zustand unseres Planeten ist zutiefst besorgniserregend. Es gibt eine umfassende ökologische Krise, die weit über die schädlichen Wirkungen des Klimawandels hinausgeht. Autoritär-populistische Strömungen sind zunehmend erfolgreich, sodass man von einer Krise demokratischer Systeme reden kann. Dies erhöht nicht nur internationale Spannungen, es steigert auch die ökonomischen Probleme, wenn z.B. Zölle als politische Waffe eingesetzt werden. Soziale und kulturelle Gegensätze verschärfen sich in einer Weise, dass selbst in demokratisch verfassten Staaten kaum mehr ein Konsens über eine gemeinsame Wertebasis auszumachen ist. In dieser Welt leben wir – auch als Christen. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen Kraft und Hoffnung zu geben durch die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus. 

Hoffnungsträger 

Hoffnung geht jedoch selten von kirchenleitenden Gremien aus. Hoffnungsträger sind da eher junge Menschen, die seit einiger Zeit unter der Überschrift „Fridays for future“ von sich reden machen.

Es ist ein Spätsommer-Abend in einem kleinen Dorf im nördlichen Westerwald. In der Dorfkirche sind etwa 80-100 meist junge Menschen zusammengekommen. „Powerstation“ nennt sich das Gottesdienstformat. Moderne Lieder werden, von einer Band begleitet, kräftig mitgesungen. Ein Mehrgenerationenchor ist dabei. Kompetent und engagiert tragen Schüler eine Power-Point-Präsentation zum Klimawandel vor. Mit jugendlicher Unbedingtheit wirbt eine junge Frau für eine vegane Lebensweise. Tipps zum umweltschonenden Verhalten beim Einkaufen und bei der Haushaltsführung werden vermittelt. Schließlich stellen Frauen aus dem Weltladen der benachbarten Kreisstadt Altenkirchen ihre Arbeit vor. Eine Mut machende Verkündigung mit christologischen und schöpfungstheologischen Akzentsetzungen bildet den Mittelpunkt des Gottesdienstes, der bewegt und Hoffnung weckt.

Nach dem Gottesdienst gibt es bei Getränken und vegetarischen und veganen Häppchen Gelegenheit zum Gespräch. Es ist bemerkenswert, wie nüchtern die Jugendlichen ihre Situation wahrnehmen. Extremen politischen Forderungen begegne ich nicht. Ich nehme  Menschen wahr, die auch in Jahrzehnten halbwegs sorgenfrei in einer intakten Umwelt leben wollen. Sie möchten auch im Jahr 2060 noch, wenn sie Mitte 50 bis Mitte 60 Jahre alt sind, einen Waldspaziergang machen, sich Morgens und Abends am Gesang der Vögel und an der schönen Landschaft im nördlichen Westerwald erfreuen, keine Geldsorgen haben, gesunde Lebensmittel verzehren und ihren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Umwelt hinterlassen. Es sind bescheidene Wünsche, für die sie persönlich Einschnitte in Kauf nehmen und ihren Lebensstil verändern. 

Es ist ein beeindruckender Abend. Und die Sehnsüchte der Jugendlichen decken sich mit den Verheißungen der Bibel, wie sie z.B. in Jesaja 65,20-23 dargestellt werden:  „Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.“

Die Entmutiger 

„Jetzt geht es endgültig bergab!“ sagt mir ein Kollege, der Ende 40 ist. Die Rede ist von der Studie des Forschungszentrums Generationenverträge, das von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen geleitet wird. Hierin geht es um eine langfristige Projektion der Mitgliederentwicklung sowie des Kirchensteueraufkommens der katholischen und der evangelischen Kirche. Das Ergebnis: Bis 2060 wird sich die Finanzkraft beider Kirchen mehr als halbiert haben. 

Bernd Raffelhüschen ist kein unbeschriebenes Blatt. Vehement setzt er sich für eine ergänzende kapitalgedeckte Rente zu Lasten der gesetzlichen umlagefinanzierten Rente ein. 2002 und 2003 war er Mitglied der Rürup-Kommission und trug mit dazu bei, die gesetzliche Rente  zugunsten privater Eigenvorsorge zu schwächen. Er ist Botschafter der Initiative neue soziale Marktwirtschaft und Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft. Das von ihm geleitete Forschungszentrum trat vor allem mit interessegeleiteten Expertisen für die Versicherungs- und Finanzwirtschaft in Erscheinung. Darüber hinaus wurden verschiedene Gutachten für die Kirchen erstellt. Auf Grund seiner Vernetzung mit der Finanz- und Versicherungsindustrie wird seine Unabhängigkeit als Forscher in Frage gestellt. Anwalt der jungen Generation ist er höchsten insofern, als der die Interessen junger Menschen aus wohlhabenden Elternhäusern vertritt, die über das nötige Kapital für eine eigene Vorsorge verfügen. Jugendliche aus sozialen Brennpunkten sind die Leidtragenden seines Wirkens. Es ist bedrückend und erstaunlich, dass nicht wesentlich größere Irritationen auftraten angesichts der Verbindung zwischen dem Rat der EKD und dem ausgewiesenen Marktradikalen und Neoliberalen Raffelhüschen.

Und für die evangelische Kirche im Rheinland, die lange Zeit als „Hort des Linksprotestantismus“ galt, ist es bedrückend und traurig, dass sie gehorsam die von Raffelhüschen inspirierten EKD-Vorgaben umsetzt, wie es sich auf der Sondersynode im September 2019 gezeigt hat. 

Bereits das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ war bestimmt von einer ähnlichen Studie, die für 2030 eine Halbierung der Finanzkraft der Kirche ausgehend vom Basisjahr 2002 auf Grund der Mitgliederentwicklung und des demographischen Wandels prognostizierte. Zu dumm nur, dass spätestens seit 2005 die Kirchensteuereinnahmen auch real stiegen und mittlerweile ein Rekordniveau erreicht haben. Demgegenüber erweckten die Finanzdezernenten der rheinischen Kirche Immel und später Baucks in nahezu jedem Finanzbericht der vergangenen 15 Jahre den Eindruck, der Einbruch bei den Kirchensteuereinnahmen stehe unabwendbar bevor. So büßt man Glaubwürdigkeit und Vertrauen ein. Dies wird nicht besser, indem man die Zeitachse bis ins Jahr 2060 ausdehnt, um nur ja nicht eine eigentlich unhaltbare Position räumen zu müssen.

Unhaltbar ist die Annahme, man könne auch nur annähernd Aussagen über die Finanzkraft der Kirche in 4 Jahrzehnten machen. Niemand weiß, wie sich im Jahr 2060 der Arbeitsmarkt darstellt, wie die Lohnentwicklung aussieht, wie sich das Steuersystem entwickelt und ob es dann überhaupt noch eine Kirchensteuer gibt. Die Studie stellt eine Projektion des Ist-Zustandes dar, der trotz und vielleicht auch wegen der von „Kirche der Freiheit“ ausgehenden Impulsen von ungewöhnlich hohen Kirchenaustrittszahlen bestimmt ist. Nimmt man dies zur Grundlage strategischer Entscheidungen, fügt man sich in das eigene Scheitern, handelt mutlos und wirkt entmutigend auf jedes engagierte Kirchenmitglied und jede kirchliche Mitarbeiterin und jeden kirchlichen Mitarbeiter.

Umkehr!

Die Welt verändert sich, und das nicht nur im nördlichen Westerwald, wo die Schäden der Wälder eine nachhaltige Veränderung der Landschaft andeuten. Anderswo sieht es schlimmer aus. Der Regenwald im Amazonas brannte in diesem Jahr wie selten zuvor. Der Westen Australiens verwandelte sich in eine Flammenhölle. Die Wüsten breiten sich aus. Am deutlichsten steigen die Temperaturen in der Arktis. Die Polkappen und Gletscher sind auf dem Rückzug. Verheerende Wirbelstürme sorgen für Verwüstungen. Die Politik versucht zumindest in Ländern wie Deutschland gegenzusteuern. Die Einsicht kommt spät. Und wie es ausschaut, setzt man auf technische Lösungen und vorsichtige strukturelle Maßnahmen. Derweilen kreisen riesige Warenströme auf Containerschiffen, Flugzeugen und LKW’s um den Planeten. Wachsende Menschenmassen vergnügen sich auf Kreuzfahrtschiffen. Der globale Luftverkehr nimmt zu. Die Luft in den Städten wird immer unverträglicher. 

Seit den 80-er Jahren hat sich das angelsächsische Modell eines Kapitalismus durchgesetzt, der auf Wachstum setzt, die sozialen Gegensätze verschärft und bei dem die Umwelt als Wirtschaftsgut betrachtet wird. Mit sozialer Marktwirtschaft hat das Ganze auch in Deutschland wenig zu tun. Wir brauchen eine andere Art zu wirtschaften und zu leben. Dies wird immer deutlicher.

Eine Kirche, die sich mit ihren strukturellen Umbaumaßnahmen den Denkweisen und Strategien diesem immer destruktiv werdenden Kapitalismus anpasst, wirkt selbst destruktiv auf die eigene Organisation und auf unser Gemeinwesen. Sie handelt eben nicht entsprechend ihrem Verkündigungsauftrag. Umkehr tut Not!

Paulus gibt in seinen Zeilen aus dem Römerbrief, die eingangs zitiert wurden, die Richtung vor. Einer Kirche, die sich mit endlosen strukturellen Umbaumaßnahmen, Zielvereinbarungen, Verwaltungsstrukturreformen, dem Neuen kirchlichen Finanzwesen (NKF) und Personalkonzepten erschöpft, hält er die Rechtfertigung allein aus dem Glauben entgegen, die das stets fragwürdige menschliche Planen und Handeln wohltuend relativiert. Durch Jesus Christus „haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird“, schreibt Paulus weiter. Es geht um die Hoffnung auf das Reich Gottes. Jesus sagt –und dieses Wort gilt gewiss auch der heutigen Kirche: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. (Matthäus 6,33) Hören wir weiter auf Paulus: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“

Es gibt diese Orte in unserer Kirche, wo aus kargen Anfängen durch die Kraft dieser Botschaft lebendiges Gemeindeleben erwächst, das Ausstrahlung hat. Da tut sich manchmal trotz aller Widrigkeiten Erstaunliches! Es gibt Gottesdienste, in denen Menschen in der Gemeinschaft mit anderen Halt und Hoffnung erfahren. So war dies jedenfalls in jenem Power-Station-Gottesdienst in dem kleinen westerwälder Dorf im Spätsommer.

Der Auftrag der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums. Eine Kirche, die sich von dieser Botschaft auch und vor allem in ihren eigenen Lebensäußerungen leiten lässt, wird zur Hoffnungsträgerin. Und dies hat unsere Welt bitter nötig.